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Die Entwicklung des österreichischen  Doppeladlers

Aufgrund seines häufigen Vorkommens in Architektur und bildender Kunst ist das Emblem des römischen - seit 1804 österreichischen - Kaisertums, der zuletzt als rein "habsburgisch" empfundene Doppeladler, im kollektiven Unterbewusstsein vieler Österreicher auch heute noch sehr präsent. Das zum "Archetyp" (C. G. Jung) gewordene altösterreichische Staatssymbol dürfte auch vielen Bewohnern der Gebiete der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie noch vertraut sein. Dazu tritt  eine periodisch auftauchende Habsburg-Nostalgie, die insbesondere von den Boulevardmedien und der Tourismus-Industrie, aber auch vom ORF am Leben erhalten wird. Dies verhilft dem alten Federvieh in oft kitschiger Siebdruck-Pracht zu immer neuen Auftritten auf T-Shirts, Bierkrügen und Postkarten.  


Österreich 1915

Der (kaiserliche) Doppeladler war und ist weit über das heutige Österreich hinaus verbreitet. 
Die systematische historische und heraldische Bearbeitung aller Formen des Doppeladlers hatte 
sich der  Privatwissenschaftler Prof. Dipl. Ing. Norbert  Weyss aus Mödling bei Wien (1909-1994)  zur Lebensaufgabe gemacht. Er verfügte über eine Sammlung von über 35.000 Belegstellen, Abbildungen und Objekten. Diese wurde nach seinem Tod dem österreichischen Staatsarchiv übergeben und ist dort jedem Interessierten zugänglich.

Unter Bezugnahme auf die umfangreichen Ermittlungen und Überlegungen von Prof. Weyss soll hier eine kurze Geschichte des Doppeladlers unseren eigenen Betrachtungen vorangestellt werden.

> Norbert Weyss, Der Doppeladler - Geschichte eines Symbols, in: Adler 1986/3, 78 ff.

> Norbert Weyss, Der Doppeladler in aller Welt, Geschichte eines Symbols (Ausstellungskatalog), Schriftenreihe des Bezirks-Museums-Vereines Mödling, Nr. 83/Februar 1994

Von einem Doppeladler im eigentlichen Sinne kann nur dann gesprochen werden, wenn dieser unterhalb der Köpfe als ein EINZIGES Tier dargestellt ist. Die Teilung erfolgt erst ab dem Hals: EIN Hals mit ZWEI Köpfen oder für jeden der beiden Köpfe auch ein deutlich erkennbarer Hals.

Im Gegensatz zu den anderen Fabeltieren des Mittelalters (Einhorn, Drache, Greif, Basilisk), an deren Existenz man damals tatsächlich glaubte, war der Doppeladler schon immer eine reine Schöpfung des menschlichen Geistes, also eine "Denkfigur".

Norbert Weyss wies glaubwürdig nach, dass der Doppeladler keineswegs nur aus der hethitischen Kultur kommt, wie dies meist behauptet wird, sondern dass er bei einem halben Dutzend von Völkern unabhängig voneinander entstanden sein muss.

So findet sich ein zweiköpfiger Garuda neben dem meist einköpfig dargestellten Fabelvogel (dem in Südostasien weit verbreiteten, als Reittier Vischnus dienenden Göttervogel) in Sri Lanka. Aber auch bei den vorkolumbianischen Indianern Perus gibt es den Doppeladler. Er wurde auch in Tibet und Nordpakistan entdeckt, tritt aber auch schon 1750 v. Chr. in deutlicher Strichzeichnung auf Glimmerplättchen im Sudan (dritter Nilkatarakt) als Grabbeigabe auf und findet sich im Felsenheiligtum von Yazilikaya ("Schriftfels" - 170 km östlich von Ankara) 

> Norbert Weyss, Die Entwicklung der Doppeladlerforschung, Österreichisches Wissenschaftsforum,  1988/1-2 und 1989/1-2


Hethitisches Rollsiegel ca.1350 v. Chr
.

Yazilikaya ca. 1250 v. Chr.


Glimmerplättchen ca. 1750 v.Chr.

Die Armenier, die schon 302, also noch vor Konstantin d. Gr., das Christentum als einzige Staatsreligion eingeführt hatten, kennen den Doppeladler seit dem 4. Jahrhundert als dynastisches Zeichen.  Um das Jahr 1000 wird der Doppeladler in einer armenischen Chronik zum ersten Mal schriftlich erwähnt. Die lange armenische Tradition kommt im Brustschmuck der armenischen Katholikoi (papstähnliche Oberhirten) und manchmal auch der dortigen Patriarchen zum Ausdruck, der aus einem schönen Doppeladler besteht, dessen Brustschild ein Kreuz mit den typisch armenischen kleinen Sonderflügeln enthält, die Weyss als Symbole für die Auferstehung Christi deutet. Der "Fächerschwanz" des armenischen Doppeladlers findet sich auch in der ältesten bekannten europäischen Doppeladler-Skulptur, einer Wandfliese aus der Benediktinerabtei St. Emmeram (Missionsbischof, gestorben um 700 in Regensburg), die in die Zeit vor 1180 datiert werden kann und heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg verwahrt wird. Dieser Doppeladler wurde wahrscheinlich von Heinrich Jasomirgott (1114-1177) - er war mit der byzantinischen Prinzessin Theodora verheiratet und Hausvogt des Klosters - aus dem Orient nach Regensburg gebracht.  
Noch heute führt etwa die armenische Kirche der Schweiz den armenischen Doppeladler.

Auch in der heute noch erhaltenen Gozzo-Burg in Krems wurde eine mit einem Doppeladler verzierte Bodenfliese gefunden.

Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wird "in Gold ein schwarzer Doppeladler" Friedrich II. von Hohenstaufen zugeordnet. Er wurde von dem gelehrten Mönch, Chronisten und Heraldiker Matthaeus Parisiensis am Hofe König Heinrichs III. von England beschrieben. 


Wandfliese aus St. Emmeram

Kremser Pfennig 1192

Wappen Friedrich II.

Seit 1402 nimmt der Doppeladler endgültig die Funktion des Reichswappens (also des Symbols für das TERRITORIUM des Reiches) an. Deshalb konnten auch die Reichsvikare den Doppeladler als Reichswappen führen. Zahllos waren die Verleihungen an die freien Reichsstädte sowie an mehrere Hansestädte. So hat sich der Reichsadler in den Wappen von Wiener Neustadt, Wien, Krems, Lübeck und Köln, aber auch zur Hälfte noch im Wappen des Kantons Genf und in vielen anderen Beispielen erhalten. Das Wiener Wappen zierte der Doppeladler fast ein halbes Jahrtausend lang: von 1461 bis 1945, mit einer kurzen Unterbrechung in der Ersten Republik (1925-1934). In der NS-Zeit trug der Wiener Doppeladler nicht mehr die habsburgische Hauskrone (oder eine heraldische Krone), sondern die römisch-deutsche Kaiserkrone.


Wien 1461-1925, 1934-1938

Wien 1938-1945


Krems

Trotzdem der historische Doppeladler Wien seit 1945 offiziell nicht mehr geführt wird, drängt er sich in nostalgischen Produkten der Souvenirindustrie immer wieder nach vorne, so als wollte er sagen: seht her, ich lebe, ich bin noch immer da.  

Der byzantinische Verwandte 

Im gesamten Strahlungsbereich Ostroms - von den griechischen Inseln in der Ägäis bis zum Berg Athos, von Zypern bis ins russische Zarenreich - verbreitet sich der insbesondere innerhalb der Familie der Paläologen freizügig weitergegebene doppelköpfige Wappenvogel. So spielt er schließlich auch bei praktisch allen Völkern des Balkans eine wichtige Rolle - meist im Kampf mit dem türkischen Halbmond.

Der byzantinische Doppeladler als Trutzsymbol der Griechen gegen die osmanische Besetzung findet sich auf dem Festland und auf fast allen Inseln. Er wird dort in und vor Kirchen gezeigt, oft im Fußboden eingelassen, ohne oder mit Insignien. Manchmal hält er auch einen Schlüssel in der Kralle. Die griechisch-orthodoxe Kirche führt ihn in ihrer Flagge auf gelbem Grund.


Kloster auf Kithnos


Wappen Albaniens


Serbien und Montenegro


Russland


Kirche auf Siphnos


Bis heute bildet das doppelköpfige Tier nach wechselvollem Schicksal das Wappensymbol Albaniens: in Rot ein schwarzer Doppeladler. Er ist auf den Nationalhelden Georg Kastriota/Skanderbeg (1405-1468) zurückzuführen. Skanderbeg kämpfte erfolgreich gegen die Türken, der Doppeladler findet sich 1450 in seinem Siegel. Nur nach einer Legende dient der Doppeladler den Albanern deshalb als Wappentier, weil das Volk der Skipetaren vom Adler abstammt.

Seit dem 13. Jahrhundert trugen serbische Könige den Doppeladler als Zeichen ihres Ranges als byzantinische Despoten.  Der doppelköpfige Aar fand sich auch im Wappen des unter türkischer Oberhoheit 1838 errichteten Fürstentums Serbien. Ab 1882 erscheint er im serbischen Königreich in Silber, wobei ihm ein Silberkreuz auf rotem Grund mit vier Feuerstählen aufgelegt wurde, die später als die Anfangsbuchstaben des Wortes "Serbien" gedeutet werden.

Auch Montenegro setzte den Doppeladler als aus Byzanz stammendes Freiheitssymbol gegen die Türken ein. Schließlich führte das Königreich Jugoslawien bis 1946 den Doppeladler im Wappen. Seit 1994 verwendet das von Serbien dominierte Restjugoslawien den serbischen Doppeladler als Wappen.

Um sich als Rechtsnachfolger der byzantinischen Kaiser auszuweisen, übernahm Iwan III. (1462-1505), Großfürst und Selbstherrscher aller Reußen, den Doppeladler aus Byzanz. Als Gemahl einer Paläologen-Prinzessin, der Nichte des letzten byzantinischen Kaisers, Konstantin XII., führte er seit 1495 den Doppeladler im Siegel - als Zeichen einer asiatisch-europäischen Weltreichsidee (das "Dritte Rom"). Zunächst golden in Rot, wurde er später schwarz auf Gold abgebildet. Er trug als Brustschild das Wappen Moskaus, das einen Reiter mit einer Lanze zeigt. Der zaristische Doppeladler war bis 1917 in Geltung. Wie in Deutschland und Österreich sollte das alte Wappen unter der bürgerlichen Revolution im Frühjahr 1917 nur vereinfacht werden.  Die bald ganz Russland beherrschenden Bolschewiken lösten schließlich das zaristische Staatssymbol durch Symbole mit noch universellerem Anspruch ab: Sowjetstern, Hammer und Sichel sowie weitere Symbole der internationalen Macht des Proletariats.

Es mutet auch heute noch unglaubwürdig an, dass der Kommunismus und das von ihm getragene, gewaltige Sowjetimperium nach einem Dreivierteljahrhundert plötzlich in sich zusammenbrechen konnten. Nachdem am 21.12.1991 die "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" gegründet worden war, wurde später der alte russische Doppeladler wieder eingeführt. Das Emblem wird in Gold auf Rot dargestellt. Eine große und zwei kleine Zarenkronen gelten als Symbole für das Präsidentenamt, die Legislative und die Jurisdiktion. Wer hätte gedacht, dass der Adler und Drachentöter jemals wieder das Rednerpult des russischen Parlaments zieren würden!  

König, Kaiser, Reich  

Wie hat sich nun der Doppeladler als Symbol für Kaiser und Reich entwickelt?

Der einköpfige, nach heraldisch rechts blickende schwarze Adler in goldenem Schild war vom 
12. bis ins 14. Jahrhundert Symbol der Herrscher im Hl. Römischen Reich. Er tritt jedoch schon um 1270 (Siegel der ehemaligen Reichsstadt Kaiserswerth) als  gewissermaßen inoffizielles Abzeichen der kaiserlichen Würde auf.  

Auf Siegeln, Münzen und Wappen wird in der Folge immer wieder unter Verwendung des Doppeladlers auf eine rechtliche oder genealogische Beziehung zum Kaiser verwiesen, bis der zweiköpfige Wappenadler von Kaiser Sigismund zunächst als Reichsverweser und dann als Kaiser angenommen wird: inzwischen führte er als König den einköpfigen Adler.

Auf einem Wappenfries am Nassauer Haus in Nürnberg stehen einköpfiger Königsadler und doppelköpfiger Kaiseradler erstmals in unserer Nähe beisammen.

Kaiser Friedrich III. ordnet als erster die Wappen seiner Erbländer im Kreis um den Doppeladler an.

Kaiser Maximilian I. fügt den Bindenschild als erbländischen Herzschild und die vom römischen Krönungsvorgang herzuleitende Mitrenkrone hinzu (sie ist als heraldische Rangkrone, nicht als konkrete habsburgische Hauskrone zu verstehen). Der "letzte Ritter" führt den Doppeladler immer innerhalb eines Schildrandes, erst sein Enkel Karl V. ordnet ihn als freischwebendes Wappentier an.

Ferdinand I., Karls Bruder, umgibt den kaiserlichen Schild mit der "Potence", der Kette des Ordens vom Goldenen Vlies.

Unter Ferdinand II. wird das Aussehen des doppelköpfigen Adlers immer majestätischer, die Flügel laden breiter aus.

> Franz Gall, Zur Entwicklung des Doppeladlers auf den kaiserlichen Siegeln, in: Adler, Band 8/Heft 16/17-1970, 281 ff.  

Im Siegel Kaiser Leopolds I. kommt barocke Prachtentfaltung zum Ausdruck, unter Maria Theresia werden Stephanskrone und Wenzelskrone auf den Brustschild gesetzt. Seit Josef II. trägt das kaiserliche Wappen den "genealogischen Herzschild" in verschiedenen Kombinationen, zuletzt (von Franz I. über 1866 bis 1915) in Form der Trias Habsburg/Österreich/Lothringen.

Von großer Bedeutung für die Form des nun bald "habsburgischen" Doppeladlers wird das Jahr 1804. Auf Grund der politischen Lage in Europa (Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich, Stärkung der süddeutschen Verbündeten Napoleons durch den Reichsdeputationshauptschluss) beschließt Franz II., zur Rettung des Kaisertitels und zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts mit den Herrschern Russlands und Frankreichs "den Titel und die Würde eines erblichen Kaisers von Österreich" anzunehmen.

Anmerkung: Diese "Pragmatikalverordnung" vom 11. August 1804 kann als als Geburtsurkunde des österreichischen Staates im juristischen Sinn angesehen werden.

"Demzufolge ist ein eigener im Mittelschild angebrachter Adler das Wappenbild dieses Kaisertums (Österreich)". Gekrönt von der Rudolfinischen Hauskrone trug der österreichische Brustschild die Wappen aller Länder und Besitzungen des österreichischen Kaisers. Der Mittelschild zeigte in Gold einen schwarzen Doppeladler, dessen Köpfe gekrönt, aber nicht nimbiert waren und der nicht Reichsapfel, Schwert und Szepter, sondern nur Reichsapfel und Schwert trug. 
Bei der Gestaltung des Herzschildes traf man eine völlig neue, bis in die Gegenwart nachwirkende Entscheidung: als heraldische Symbol für den österreichischen Gesamtstaat wurde der rot-weiß-rote Bindenschild der Babenberger gewählt. über den nimbierten Adlerköpfen des Rückenschildes schwebte die alte Reichskrone der Ottonen. Dieses interessante Wappen hielt allerdings nicht sehr lange, nämlich genau zwei Jahre.

> Gottfried Mraz, Österreich und das Reich 1804-1806, Verlag  Schendl, Wien, 1993,

Als Franz II. am 6. August 1806 die römische Kaiserwürde niederlegte, nachdem die Rheinbundstaaten aus dem Reich ausgetreten waren und er sich dadurch seiner Verpflichtungen dem Reich gegenüber als "los gezählt" betrachtete, hatte er den alleinigen Titel als erblicher Kaiser Franz I. von Österreich.  Dies führte erneut zu substantiellen Änderungen im Wappen.  Der bisherige Brustschild wurde nun zum Hauptwappen. Ihm wurde an zentraler Stelle das genealogische Wappen des regierenden Kaiserhauses aufgelegt - in Gold den roten habsburgischen Löwen, den rotweißroten Bindenschild und drei gestümmelte (d.h. ohne Fänge dargestellte) silberne Adler auf schrägrechtem roten Balken als lothringisches Stammwappen. Diese Wiederaufnahme des genealogischen Hauswappens geschah höchstwahrscheinlich mit Rücksicht auf Ungarn, das sich durch den stark territorial bestimmten rot-weiß-roten Bindenschild nicht repräsentiert gefühlt hätte. Die heraldischen Vorstellungen Ungarns waren ja schon 1804 übergangen worden, wie das auch später der Fall sein sollte. Neben dem Schwert wurde auch das Szepter wieder in das Wappen integriert. Über den beiden nun nicht mehr nimbierten, jedoch gekrönten, rotbezungten Adlerköpfen schwebte die österreichische Kaiserkrone, heraldisch dargestellt als eine geschlossene Bügelkrone, die Zinken mit Perlen besetzt, an der Spitze des mittleren Bügels der Reichsapfel, mit roter Mütze gefüttert, von welcher zwei Bänder herabhängen.


Kleines Wappen 1836


Mittleres Wappen 1867


Kleines Wappen 1815

> Mraz, a.a.O., 97 ff.  

Die durch den Sieg über Napoleon und den Wiener Kongress notwendigen Änderungen des Doppeladler-Wappens wurden erst unter Ferdinand I. mit Allerhöchster Entschließung 
vom 13. Mai 1836 endgültig dekretiert. Dabei wurde das genealogische Wappen jedoch 
nicht aufgelegt, sondern an zentraler Stelle in die Wappen des Reiches eingereiht.

Anmerkung: In unnimbierter Form sollte der rot bezungte, schwarze Doppeladler in Gold von der Frankfurter Paulskirche 1848 zum Bundeswappen (ohne Insignien) erhoben werden.

In der Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph kam es zunächst zu zahlreichen inoffiziellen Umgruppierungen, Weglassungen und Hinzufügungen, bis nach der Niederlage von Königgrätz 
(Verlust Venetiens) 1866 das große Wappen still und leise "vergessen" wurde, während das kleine österreichische Reichswappen mit einer kleinen Änderung bis 1915 weitergeführt wurde: die heraldisch gestaltete österreichische Kaiserkrone wurde durch die realistisch wiedergegebene Rudolfinische Hauskrone ersetzt, von welcher zwei blaue Bänder ausgehen. Auch Szepter und Reichsapfel entsprechen den in der Schatzkammer aufbewahrten historischen Vorbildern. In dieser Form hat sich der Doppeladler als österreichisches "Ursymbol" in unser Gedächtnis eingegraben.

Zur komplizierten heraldischen und staatsrechtlichen Entwicklung des österreichischen Doppeladler-Wappens im 19. Jahrhundert vergleiche insbesondere die jüngst erschienene konzise Darstellung von Michael Göbl.

> Michael Göbl, Staatssymbole des Habsburger-Reiches - ab 1867 mit besonderer Berücksichtigung des Staatswappens, in: Österreichs politische Symbole, Böhlau, Wien, 1994, 11 ff.

Nach dem Ausgleich mit Ungarn wurde 1868 als Name für die neue Doppelmonarchie "Österreichisch-Ungarische Monarchie" festgelegt, zur Einführung neuer Wappen in den beiden Reichshälften und zu einem daraus zusammengefügten gemeinsamen Wappen kam es aber erst im Jahre 1915 - fast ein halbes Jahrhundert nach der staatsrechtlichen folgte die heraldische Trennung. Man darf in Österreich eben nicht ungeduldig sein. Und wenn man dann sein Ziel erreicht, so natürlich nur "auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln" (Grillparzer, Bruderzwist, II.):

In diesem zweiten Kriegsjahr erzwang Ungarn ein "Kleines" und ein "Mittleres" gemeinsames Staatswappen für die Doppelmonarchie. Zu einem "Großen" Wappen reichte der Konsens nicht mehr aus, es wurde "einem späteren Zeitpunkt" vorbehalten.

Das Mittlere gemeinsame Wappen besteht aus den in sich vollkommen abgeschlossenen und mit ihrer jeweiligen Krone versehenen Wappen Österreichs und Ungarns, die in der Mitte zum Zeichen der Personalunion durch das Wappen des Allerhöchsten Herrscherhauses (mit einer heraldischen Bügelkrone versehen) dergestalt verbunden sind, dass dieses beide übergreift, selbst aber von den Kronen der beiden Reichshälften überhöht wird. Die aus der Pragmatischen Sanktion übernommene Devise "indivisibiliter ac inseparabiliter" verbindet die beiden Staatswappen ebenso wie die vier in der Mitte angeordneten Ordenssymbole: die Collane des Goldenen Vließes, die Großkreuze des Maria-Theresien-Ordens, des königlich ungarischen St. Stephans- und des kaiserlich österreichischen Leopolds-Ordens.

Dem österreichischen Schild dient rechts als Schildhalter ein golden gewaffneter und von Schwarz über Gold geteilter Greif, dem ungarischen links ein schwebender, weiß gekleideter Engel.

Politisch-heraldisch ist dieses von dem berühmten Wiener Zeichenlehrer und Heraldiker Hugo Gerhard Ströhl (1851-1919) entworfene Wappen als ein sehr ausgewogener Kompromiss und schöner Ausdruck des um allerletzte Aspekte der Einheit ringenden aber damals eben dualistischen Staatswesens zu bezeichnen.  

Das Kleine gemeinsame Wappen wird durch die beiden Kleinen Wappen gebildet, die nur mehr durch Herrscherwappen mit Goldenem Vlies und Spruchband zusammengehalten sind. Seit 1916 enthält das Ungarische Wappen eine rot-weiß geschachte Spitze  als Zugeständnis an die Kroaten.

Die Bedeutung für Österreich

Norbert Weyss (a.a.O.) beschäftigt sich ausführlich mit den verschiedenen Theorien über geistigen Ursprung und Interpretation des doppelköpfigen Adlers.

Er verwirft rein handwerkliche (Wiederholung eines Motivs in der Teppichweberei) oder ästhetische Erwägungen ebenso wie einen Ursprung aus Mythologie und Religion (Ez 10,14, das Evangelistenzeichen des Johannes, Physiologus, Zweischwerterlehre), aber auch rein heraldisch-genealogische Thesen (Vollbürtigkeit, mehrere Nachkommen).

Für Weyss ist die ursprüngliche Bedeutung des Doppeladlers seine Funktion als "Schutzwesen", als umsichtiger Wächter, auch als apotropäischer Abwehrer - schließlich sehen zwei Augenpaare mehr und besser als nur eines. Der Doppeladler mit seinen vier Augen ist also in seinem Wesen eine Art Symbol des gesteigerten Schutzes.

Diese Auffassung des Mödlinger Forschers führt dazu, dass er für die vorheraldischen Zeiträume alle Erklärungen ablehnt, die den Doppeladler als ein Herrschaftszeichen beschreiben. Wenn wir auch seiner radikalen Verneinung einer Integrationsfunktion im Altertum zustimmen,  brauchen wir ihm für die Neuzeit nicht zu folgen.

Für den Bedeutungsgehalt eines Symbols gibt es nicht immer Belege, also greifbare historische Quellen oder kognitive Beweise. Manches muss man erschließen, ja "erfühlen". Das gilt auch für das "Dualsystem" Doppeladler.

Und so stellen wir hier die These auf, dass der Doppeladler seit dem Mittelalter - wenn auch in der Regel nur unbewusst und vielleicht sogar ungewollt - zu einem Gegensätze DARSTELLENDEN, aber auch Gegensätze VERSÖHNENDEN Dualsystems wurde.

Der Doppeladler könnte demnach jetzt sehr wohl Begriffspaare wie "Ost und West", "Asien und Europa", "Ost- und Westrom", "Kaiser und Papst", "weltlich und geistlich", "Kaiser und König", "Österreich und Ungarn", symbolisch ausgedrückt haben - ohne dass ein einziger dieser Aspekte heraldisch bewusst intendiert war. Es kommt bei der symbolpublizistischen Wirkung ja nicht (nur) darauf an, was der Initiator, Schöpfer oder Träger eines Symbols in dasselbe hineinlegt, sondern was die Adressaten desselben aus ihm herauslesen, welche Botschaft sie zu empfangen meinen, welchen Sinn sie in ihm sehen oder ihm geben.

Der Doppeladler erhält eben seine Schutzfunktion - die gar nicht bestritten werden soll, im Gegenteil! - nicht nur aus seinen breit ausladenden Schwingen, die er über Staat und Staatsbürger wie die Adlermutter über ihre Jungen hält, sondern auch aus seiner Fähigkeit, Gegensätze auszugleichen: Zwei Köpfe, zwei Augenpaare, zwei Flügel - aber nur eine Brust, nur ein Herz. Dort muss das Gegensätzliche - müssen die "zwei Seelen" -  aufgearbeitet, versöhnt, integriert werden.

Franz Karl Ginzkey, geboren als Kind deutschböhmischer Eltern in Pola 1871, gestorben in Wien 1963, also erst vor rund 40 Jahren, war einer der letzten Vertreter alt-österreichischer Geistigkeit. Als Berufsoffizier, Militärgeograph und Schriftsteller hinterließ er neben einem umfangreichen lyrischen Werk (darunter der Text der niederösterreichischen Landeshymne!), zahlreichen Romanen und Kinderbüchern auch die skurrile Erzählung "Der Wundervogel" (1929). 
Darin erwacht in einer Vollmondnacht des Jahres 1925 ein alter, ausgedienter österreichischer Doppeladler von gut drei Metern Spannweite, der einst eine Kaserne geschmückt hatte, zu neuem Leben. Unter dem Namen "Palitschari" huscht er mit erstaunlicher Geschwindigkeit zum Bodenfenster hinaus und segelt  dem Gebirge zu.

"Wir nennen ihn ein wenig undeutsch Palitschari, obwohl er für seinen Teil durchaus rein deutscher Abkunft war; aber als Vertreter von gut zwölf einst unter ihm vereinten Nationen hätte er unmöglich Siegfried oder Widukind oder Fürchtegott heißen können. Gerade Palitschari scheint uns nach manchem, was da im Blute verschieden und doch zum guten Zwecke vormals beisammen war, den rechten Kern in sich zu tragen, wozu noch ein leiser tschinellenhafter Ausklang wie von einer fernhin verdämmernden Regimentsmusik hinzukommt."

> Franz Karl Ginzkey, Der Wundervogel, L. Staackmann-Verlag, Leipzig, 1929, 7.   

Auf einer Felsspitze trifft Palitschari den Steinadler Gursu, mit dem er sich anfreundet und über Gott und die Welt zu philosophieren beginnt. Auf Gursus Frage, woher denn seine Doppelköpfigkeit stamme, führt Palitschari aus, dass es einfach ein betrunkener Münzmeister gewesen sei, der ihn vor sechshundert Jahren doppelt vor sich gesehen habe und, von der Symmetrie des solcherart entstandenen Bildes begeistert, dieses seinem Auftraggeber vorgeschlagen habe. Dem Münzherren habe der Entwurf ebenfalls über die Maßen gefallen, da ja dadurch auch seine Macht verdoppelt erschien. So sei er als Doppeladler auf die Reichsmünze gekommen.

Zu den beiden Seelen, die unter den beiden Adlerköpfen wohnen, meint der Erzähler nachdenklich:

"(er war) nämlich noch immer mit menschlicher Logik begabt, die das eine Mal Blut nicht sehen kann und das andere Mal es wieder in Strömen vergießt, sodass sie zwischen Tierschutzverein und Schlachtbank, zwischen Friedensliga und Kriegserklärung hilflos hin und her schwankt ..." (23)

Und Gursu sekundiert mit gut altösterreichischer Weisheit:

"... alle Kunst ist, sich selbst zu besitzen und zugleich auch wieder aufzugeben. Da wahre Lebensgefühl liegt in der Mitte ..." (24)

Nun, es kommt immer auch auf die Darstellung an: je ausladender die Schwingen des Doppeladlers gestaltet sind - man denke etwa an die Darstellungen an beiden Firsten der Neuen Hofburg, über dem Eingang in den Volksgarten an der Albertina-Seite und die vielen anderen architektonischen und künstlerischen Umsetzungen - umso stärker wirkt neben dem Schützenden auch das Verbindende.  


Messepalast Wien


Radezkydekmal

Regierungsgebäude Wien

Auch wenn der Doppeladler in monumentaler Gestalt vom heutigen Regierungsgebäude am Beginn der Wiener Ringstraße heruntergrüßt, zu seinen Füßen sein kleiner Bruder den Spruch "In deinem Lager ist Österreich" am Radetzky-Denkmal bewacht und - wie eingangs erwähnt - Tausende seiner Verwandten landauf, landab vom alten Österreich künden, wird eine rationale Betrachtung das scharfäugige Wappentier wohl nur als EIN Symbol von VIELEN  aufzählen, unter denen Österreich gestanden ist. In humorvoller Betrachtung wird er vielleicht Aussprüche provozieren wie "Ich habe oben im Demel eine Doppeladler-Zucht" (Udo Proksch).  "Geschichtspsychologisch" betrachtet, wirken die mächtigen Schwingen des Doppeladlers in Tiefenschichten des österreichischen Volkes auch heute noch nach: als Symbol dafür, dass der Österreicher einst in einem mächtigen Reiche lebte, auf das er stolz war und in dem er sich geborgen fühlte.  


Justizpalast Wien


"Kurier" vom 20.3.1996


1934-1938


Otto Bauer-Gasse Wien


HTL Bregenz

Leider hat die Erste Republik eine unglückliche Wendung genommen, fernab von der WeisheitPalitscharis: nach Ausschaltung der demokratischen Parteien und des Parlaments suchte der Ständestaat 1934 sein Heil in einem Rückgriff auf das österreichische Traditionssymbol: er flüchtete sich  unter den Doppeladler. Wie sich herausstellte, war das keine gute Idee - den Teufel Nationalsozialismus mit dem Beelzebub Austrofaschismus auszutreiben, erwies sich als Sackgasse. An einigen Punkten überlebte der Doppelaar freilich bis heute: wie zum Hohn auch an den Portalen des Justizpalastes, in der Otto-Bauer-Gasse (!) und in Bregenz mit Blick über den See nach Deutschland und in die Schweiz.  






Wien, Hofburg

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