Die
Entwicklung des österreichischen Doppeladlers Aufgrund
seines häufigen Vorkommens in Architektur und bildender Kunst ist das Emblem
des römischen - seit 1804 österreichischen - Kaisertums, der zuletzt als rein
"habsburgisch" empfundene Doppeladler, im kollektiven Unterbewusstsein
vieler Österreicher auch heute noch sehr präsent. Das zum
"Archetyp" (C. G. Jung) gewordene altösterreichische Staatssymbol dürfte auch vielen
Bewohnern der Gebiete der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie noch
vertraut sein. Dazu tritt eine periodisch auftauchende Habsburg-Nostalgie,
die insbesondere von den Boulevardmedien und der Tourismus-Industrie, aber auch
vom ORF am Leben erhalten wird. Dies verhilft dem alten Federvieh in oft
kitschiger Siebdruck-Pracht zu immer neuen Auftritten auf T-Shirts, Bierkrügen
und Postkarten. Der
(kaiserliche) Doppeladler war und ist weit über das heutige Österreich hinaus
verbreitet. Unter
Bezugnahme auf die umfangreichen Ermittlungen und Überlegungen von Prof.
Weyss soll hier eine
kurze Geschichte des Doppeladlers unseren eigenen Betrachtungen vorangestellt
werden. >
Norbert Weyss, Der Doppeladler - Geschichte eines Symbols, in: Adler
1986/3, 78 ff. >
Norbert Weyss, Der Doppeladler in aller Welt, Geschichte eines Symbols
(Ausstellungskatalog), Schriftenreihe des Bezirks-Museums-Vereines Mödling, Nr.
83/Februar 1994 Von
einem Doppeladler im eigentlichen Sinne kann nur dann gesprochen werden, wenn
dieser unterhalb der Köpfe als ein EINZIGES Tier dargestellt ist. Die Teilung
erfolgt erst ab dem Hals: EIN Hals mit ZWEI Köpfen oder für jeden der beiden Köpfe
auch ein deutlich erkennbarer Hals. Im
Gegensatz zu den anderen Fabeltieren des Mittelalters (Einhorn, Drache, Greif,
Basilisk), an deren Existenz man damals tatsächlich glaubte, war der
Doppeladler schon immer eine reine Schöpfung des menschlichen Geistes, also eine
"Denkfigur". Norbert
Weyss wies glaubwürdig nach, dass der Doppeladler keineswegs nur aus der
hethitischen Kultur kommt, wie dies meist behauptet wird, sondern dass er bei
einem halben Dutzend von Völkern unabhängig voneinander entstanden sein muss. So
findet sich ein zweiköpfiger Garuda neben dem meist einköpfig dargestellten
Fabelvogel (dem in Südostasien weit verbreiteten, als Reittier Vischnus
dienenden Göttervogel) in Sri Lanka. Aber auch bei den vorkolumbianischen
Indianern Perus gibt es den Doppeladler. Er wurde auch in Tibet und Nordpakistan
entdeckt, tritt aber auch schon 1750 v. Chr. in deutlicher Strichzeichnung auf
Glimmerplättchen im Sudan (dritter Nilkatarakt) als Grabbeigabe auf und
findet sich im Felsenheiligtum von Yazilikaya
("Schriftfels" - 170 km östlich von Ankara)
Die
Armenier, die schon 302, also noch vor Konstantin d. Gr., das Christentum als
einzige Staatsreligion eingeführt hatten, kennen den Doppeladler seit dem 4.
Jahrhundert als dynastisches
Zeichen. Um
das Jahr 1000 wird der Doppeladler in einer armenischen Chronik zum ersten Mal
schriftlich erwähnt. Die lange armenische Tradition kommt im Brustschmuck der
armenischen Katholikoi (papstähnliche Oberhirten) und manchmal auch der
dortigen Patriarchen zum Ausdruck, der aus einem schönen Doppeladler besteht,
dessen Brustschild ein Kreuz mit den typisch armenischen kleinen Sonderflügeln
enthält, die Weyss als Symbole für die Auferstehung Christi deutet. Der "Fächerschwanz" des
armenischen Doppeladlers findet sich auch in der ältesten bekannten europäischen
Doppeladler-Skulptur, einer Wandfliese aus der Benediktinerabtei St. Emmeram (Missionsbischof, gestorben um 700 in Regensburg), die in die
Zeit vor 1180 datiert werden kann und heute im Germanischen Nationalmuseum
in Nürnberg verwahrt wird. Dieser Doppeladler wurde wahrscheinlich von
Heinrich Jasomirgott (1114-1177) - er war mit der byzantinischen Prinzessin Theodora
verheiratet und Hausvogt des Klosters - aus dem Orient nach Regensburg gebracht. Auch
in der heute noch erhaltenen Gozzo-Burg in Krems wurde eine mit einem
Doppeladler verzierte Bodenfliese gefunden. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wird "in Gold ein schwarzer Doppeladler" Friedrich II. von Hohenstaufen zugeordnet. Er wurde von dem gelehrten Mönch, Chronisten und Heraldiker Matthaeus Parisiensis am Hofe König Heinrichs III. von England beschrieben. Seit 1402 nimmt der Doppeladler endgültig die Funktion des Reichswappens (also des Symbols für das TERRITORIUM des Reiches) an. Deshalb konnten auch die Reichsvikare den Doppeladler als Reichswappen führen. Zahllos waren die Verleihungen an die freien Reichsstädte sowie an mehrere Hansestädte. So hat sich der Reichsadler in den Wappen von Wiener Neustadt, Wien, Krems, Lübeck und Köln, aber auch zur Hälfte noch im Wappen des Kantons Genf und in vielen anderen Beispielen erhalten. Das Wiener Wappen zierte der Doppeladler fast ein halbes Jahrtausend lang: von 1461 bis 1945, mit einer kurzen Unterbrechung in der Ersten Republik (1925-1934). In der NS-Zeit trug der Wiener Doppeladler nicht mehr die habsburgische Hauskrone (oder eine heraldische Krone), sondern die römisch-deutsche Kaiserkrone. Trotzdem
der historische Doppeladler Wien seit 1945 offiziell nicht mehr geführt
wird, drängt er sich in nostalgischen Produkten der Souvenirindustrie immer
wieder nach vorne, so als wollte er sagen: seht her, ich lebe, ich bin noch
immer da. Der
byzantinische Verwandte Im
gesamten Strahlungsbereich Ostroms - von den griechischen Inseln in der Ägäis
bis zum Berg Athos, von Zypern bis ins russische Zarenreich - verbreitet sich
der insbesondere innerhalb der Familie der Paläologen freizügig
weitergegebene doppelköpfige Wappenvogel. So spielt er schließlich auch bei
praktisch allen Völkern des Balkans eine wichtige Rolle - meist im Kampf mit
dem türkischen Halbmond. Der
byzantinische Doppeladler als Trutzsymbol der Griechen gegen die osmanische
Besetzung findet sich auf dem Festland und auf fast allen Inseln. Er wird dort in und vor Kirchen gezeigt,
oft im Fußboden eingelassen, ohne oder mit Insignien.
Manchmal hält er auch einen Schlüssel in der Kralle.
Seit
dem 13. Jahrhundert trugen serbische Könige den Doppeladler als Zeichen ihres
Ranges als byzantinische Despoten. Der
doppelköpfige Aar fand sich auch im Wappen des unter türkischer Oberhoheit
1838 errichteten Fürstentums Serbien. Ab 1882 erscheint er im serbischen Königreich
in Silber, wobei ihm ein Silberkreuz auf rotem Grund mit vier Feuerstählen
aufgelegt wurde, die später als die Anfangsbuchstaben des Wortes
"Serbien" gedeutet werden. Auch
Montenegro setzte den Doppeladler als aus Byzanz stammendes Freiheitssymbol
gegen die Türken ein. Schließlich führte das Königreich Jugoslawien bis 1946
den Doppeladler im Wappen. Seit 1994
verwendet das von Serbien dominierte Restjugoslawien den serbischen Doppeladler
als Wappen. Um
sich als Rechtsnachfolger der byzantinischen Kaiser auszuweisen, übernahm Iwan
III. (1462-1505), Großfürst und Selbstherrscher aller Reußen, den
Doppeladler aus Byzanz. Als Gemahl
einer Paläologen-Prinzessin, der Nichte des letzten byzantinischen Kaisers, Konstantin
XII., führte er seit 1495 den Doppeladler im Siegel - als Zeichen einer asiatisch-europäischen
Weltreichsidee (das "Dritte Rom"). Zunächst golden in Rot, wurde er später schwarz
auf Gold abgebildet. Er trug als Brustschild das Wappen Moskaus, das einen
Reiter mit einer Lanze zeigt. Der
zaristische Doppeladler war bis 1917 in Geltung. Wie in Deutschland und Österreich
sollte das alte Wappen unter der bürgerlichen Revolution im Frühjahr 1917 nur
vereinfacht werden. Die bald
ganz Russland beherrschenden Bolschewiken lösten schließlich das zaristische
Staatssymbol durch Symbole mit noch universellerem Anspruch ab: Sowjetstern,
Hammer und Sichel sowie weitere Symbole der internationalen Macht des
Proletariats. Es
mutet auch heute noch unglaubwürdig an, dass der Kommunismus und das von ihm
getragene, gewaltige Sowjetimperium nach einem Dreivierteljahrhundert plötzlich
in sich zusammenbrechen konnten. Nachdem
am 21.12.1991 die "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" gegründet
worden war, wurde später der alte russische Doppeladler
wieder eingeführt. Das
Emblem wird in Gold auf Rot dargestellt. Eine große und zwei kleine Zarenkronen
gelten als Symbole für das Präsidentenamt, die Legislative und die
Jurisdiktion. Wer hätte gedacht, dass der Adler und Drachentöter jemals wieder
das Rednerpult des russischen Parlaments zieren würden! König,
Kaiser, Reich Wie
hat sich nun der Doppeladler als Symbol für Kaiser und Reich entwickelt? Der
einköpfige, nach heraldisch rechts blickende schwarze Adler in goldenem Schild
war vom Auf
Siegeln, Münzen und Wappen wird in der Folge immer wieder unter Verwendung des
Doppeladlers auf eine rechtliche oder genealogische Beziehung zum Kaiser
verwiesen, bis der zweiköpfige Wappenadler von Kaiser Sigismund zunächst
als Reichsverweser und dann als Kaiser angenommen wird: inzwischen führte er
als König den einköpfigen Adler. Auf
einem Wappenfries am Nassauer Haus in Nürnberg stehen einköpfiger Königsadler
und doppelköpfiger Kaiseradler erstmals in unserer Nähe beisammen. Kaiser
Friedrich
III. ordnet als erster die Wappen seiner Erbländer im Kreis um den
Doppeladler an. Kaiser
Maximilian I. fügt den Bindenschild als erbländischen Herzschild und die
vom römischen Krönungsvorgang herzuleitende Mitrenkrone hinzu (sie ist als
heraldische Rangkrone, nicht als konkrete habsburgische Hauskrone zu verstehen).
Der "letzte Ritter" führt den Doppeladler immer innerhalb eines
Schildrandes, erst sein Enkel Karl V. ordnet ihn als freischwebendes Wappentier an. Ferdinand
I., Karls Bruder, umgibt den kaiserlichen Schild mit der
"Potence", der Kette des Ordens vom Goldenen Vlies. Unter
Ferdinand II. wird das Aussehen des doppelköpfigen Adlers immer majestätischer,
die Flügel laden breiter aus. >
Franz Gall, Zur Entwicklung des Doppeladlers auf den kaiserlichen Siegeln,
in: Adler, Band 8/Heft 16/17-1970, 281 ff. Im
Siegel Kaiser Leopolds I. kommt barocke Prachtentfaltung zum Ausdruck,
unter Maria Theresia werden Stephanskrone
und Wenzelskrone auf den Brustschild gesetzt. Seit Josef II. trägt das kaiserliche Wappen den
"genealogischen Herzschild" in verschiedenen Kombinationen, zuletzt
(von Franz I. über 1866
bis 1915) in Form der Trias Habsburg/Österreich/Lothringen.
Von
großer Bedeutung für die Form des nun bald "habsburgischen"
Doppeladlers wird das Jahr 1804. Auf Grund der politischen Lage in Europa (Abtretung des linken Rheinufers an
Frankreich, Stärkung der süddeutschen Verbündeten Napoleons durch den
Reichsdeputationshauptschluss) beschließt Franz II., zur Rettung des
Kaisertitels und zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts mit den Herrschern Russlands
und Frankreichs "den Titel und die Würde eines erblichen Kaisers von Österreich"
anzunehmen. Anmerkung:
Diese "Pragmatikalverordnung" vom 11. August 1804 kann als als
Geburtsurkunde des österreichischen Staates im juristischen Sinn angesehen
werden. "Demzufolge
ist ein eigener im Mittelschild angebrachter Adler das Wappenbild dieses
Kaisertums (Österreich)". Gekrönt von der Rudolfinischen Hauskrone trug
der österreichische Brustschild die Wappen aller Länder und Besitzungen des österreichischen
Kaisers. Der Mittelschild zeigte in Gold einen schwarzen Doppeladler, dessen Köpfe
gekrönt, aber nicht nimbiert waren und der nicht Reichsapfel, Schwert und
Szepter, sondern nur Reichsapfel und Schwert trug. >
Gottfried Mraz, Österreich und das Reich 1804-1806, Verlag
Schendl, Wien, 1993, Als Franz II. am 6. August 1806 die römische Kaiserwürde niederlegte, nachdem die Rheinbundstaaten aus dem Reich ausgetreten waren und er sich dadurch seiner Verpflichtungen dem Reich gegenüber als "los gezählt" betrachtete, hatte er den alleinigen Titel als erblicher Kaiser Franz I. von Österreich. Dies führte erneut zu substantiellen Änderungen im Wappen. Der bisherige Brustschild wurde nun zum Hauptwappen. Ihm wurde an zentraler Stelle das genealogische Wappen des regierenden Kaiserhauses aufgelegt - in Gold den roten habsburgischen Löwen, den rotweißroten Bindenschild und drei gestümmelte (d.h. ohne Fänge dargestellte) silberne Adler auf schrägrechtem roten Balken als lothringisches Stammwappen. Diese Wiederaufnahme des genealogischen Hauswappens geschah höchstwahrscheinlich mit Rücksicht auf Ungarn, das sich durch den stark territorial bestimmten rot-weiß-roten Bindenschild nicht repräsentiert gefühlt hätte. Die heraldischen Vorstellungen Ungarns waren ja schon 1804 übergangen worden, wie das auch später der Fall sein sollte. Neben dem Schwert wurde auch das Szepter wieder in das Wappen integriert. Über den beiden nun nicht mehr nimbierten, jedoch gekrönten, rotbezungten Adlerköpfen schwebte die österreichische Kaiserkrone, heraldisch dargestellt als eine geschlossene Bügelkrone, die Zinken mit Perlen besetzt, an der Spitze des mittleren Bügels der Reichsapfel, mit roter Mütze gefüttert, von welcher zwei Bänder herabhängen. >
Mraz, a.a.O., 97 ff. Die
durch den Sieg über Napoleon und den Wiener Kongress notwendigen Änderungen
des Doppeladler-Wappens wurden erst unter Ferdinand I. mit Allerhöchster
Entschließung Anmerkung:
In unnimbierter Form sollte der rot bezungte, schwarze Doppeladler
in Gold von der Frankfurter Paulskirche 1848 zum Bundeswappen (ohne Insignien)
erhoben werden. In
der Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph kam es zunächst zu
zahlreichen inoffiziellen Umgruppierungen, Weglassungen und Hinzufügungen, bis
nach der Niederlage von Königgrätz Zur
komplizierten heraldischen und staatsrechtlichen Entwicklung des österreichischen
Doppeladler-Wappens im 19. Jahrhundert vergleiche insbesondere die jüngst
erschienene konzise Darstellung von Michael Göbl. >
Michael Göbl, Staatssymbole des Habsburger-Reiches - ab 1867 mit
besonderer Berücksichtigung des Staatswappens, in: Österreichs politische Symbole, Böhlau,
Wien, 1994, 11 ff. Nach
dem Ausgleich mit Ungarn wurde 1868 als Name für die neue Doppelmonarchie
"Österreichisch-Ungarische Monarchie" festgelegt, zur Einführung
neuer Wappen in den beiden Reichshälften und zu einem daraus zusammengefügten
gemeinsamen Wappen kam es aber erst im Jahre 1915 - fast ein halbes Jahrhundert
nach der staatsrechtlichen folgte die heraldische Trennung. Man darf in Österreich
eben nicht ungeduldig sein. Und wenn man dann sein Ziel erreicht, so natürlich
nur "auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln" (Grillparzer,
Bruderzwist, II.): In
diesem zweiten Kriegsjahr erzwang Ungarn ein "Kleines" und ein
"Mittleres" gemeinsames Staatswappen für die Doppelmonarchie. Zu
einem "Großen" Wappen reichte der Konsens nicht mehr aus, es wurde
"einem späteren Zeitpunkt" vorbehalten. Das
Mittlere gemeinsame Wappen besteht aus den in sich vollkommen abgeschlossenen
und mit ihrer jeweiligen Krone versehenen Wappen Österreichs und Ungarns, die
in der Mitte zum Zeichen der Personalunion durch das Wappen des Allerhöchsten
Herrscherhauses (mit einer heraldischen Bügelkrone versehen) dergestalt
verbunden sind, dass dieses beide übergreift, selbst aber von den Kronen der
beiden Reichshälften überhöht wird. Die aus der Pragmatischen Sanktion übernommene
Devise "indivisibiliter ac inseparabiliter" verbindet die
beiden Staatswappen ebenso wie die vier in der Mitte angeordneten Ordenssymbole:
die Collane des Goldenen Vließes, die Großkreuze des Maria-Theresien-Ordens,
des königlich ungarischen St. Stephans- und des kaiserlich österreichischen
Leopolds-Ordens. Dem
österreichischen Schild dient rechts als Schildhalter ein golden gewaffneter
und von Schwarz über Gold geteilter Greif, dem ungarischen links ein
schwebender, weiß gekleideter Engel. Politisch-heraldisch
ist dieses von dem berühmten Wiener Zeichenlehrer und Heraldiker Hugo
Gerhard Ströhl (1851-1919) entworfene Wappen als ein sehr
ausgewogener Kompromiss und schöner Ausdruck des um allerletzte Aspekte der
Einheit ringenden aber damals eben dualistischen Staatswesens zu bezeichnen. Die Bedeutung für Österreich Norbert
Weyss (a.a.O.) beschäftigt sich ausführlich mit den verschiedenen Theorien
über geistigen Ursprung und Interpretation des doppelköpfigen Adlers. Er
verwirft rein handwerkliche (Wiederholung eines Motivs in der Teppichweberei)
oder ästhetische Erwägungen ebenso wie einen Ursprung aus Mythologie und
Religion (Ez 10,14, das Evangelistenzeichen des Johannes, Physiologus,
Zweischwerterlehre), aber auch rein heraldisch-genealogische Thesen (Vollbürtigkeit,
mehrere Nachkommen). Für
Weyss ist die ursprüngliche Bedeutung des Doppeladlers seine Funktion
als "Schutzwesen", als umsichtiger Wächter, auch als apotropäischer
Abwehrer - schließlich sehen zwei Augenpaare mehr und besser als nur eines. Der
Doppeladler mit seinen vier Augen ist also in seinem Wesen eine Art Symbol des
gesteigerten Schutzes. Diese
Auffassung des Mödlinger Forschers führt dazu, dass er für die
vorheraldischen Zeiträume alle Erklärungen ablehnt, die den Doppeladler als
ein Herrschaftszeichen beschreiben. Wenn
wir auch seiner radikalen Verneinung einer Integrationsfunktion im Altertum
zustimmen, brauchen wir ihm für die Neuzeit nicht zu folgen. Für
den Bedeutungsgehalt eines Symbols gibt es nicht immer Belege, also greifbare
historische Quellen oder kognitive Beweise. Manches
muss man erschließen, ja "erfühlen". Und
so stellen wir hier die These auf, dass der Doppeladler seit dem Mittelalter -
wenn auch in der Regel nur unbewusst und vielleicht sogar ungewollt - zu einem
Gegensätze DARSTELLENDEN, aber auch Gegensätze VERSÖHNENDEN Dualsystems
wurde. Der
Doppeladler könnte demnach jetzt sehr wohl Begriffspaare wie "Ost und
West", "Asien und Europa", "Ost- und Westrom", "Kaiser und
Papst", "weltlich und geistlich", "Kaiser und König",
"Österreich und Ungarn", symbolisch ausgedrückt haben - ohne dass
ein einziger dieser Aspekte heraldisch bewusst intendiert war. Es kommt bei der
symbolpublizistischen Wirkung ja nicht (nur) darauf an, was der Initiator, Schöpfer
oder Träger eines Symbols in dasselbe hineinlegt, sondern was die Adressaten
desselben aus ihm herauslesen, welche Botschaft sie zu empfangen meinen, welchen
Sinn sie in ihm sehen oder ihm geben. Der
Doppeladler erhält eben seine Schutzfunktion - die gar nicht bestritten werden
soll, im Gegenteil! - nicht nur aus seinen breit ausladenden Schwingen, die er
über Staat und Staatsbürger wie die
Adlermutter über ihre Jungen hält, sondern auch aus seiner Fähigkeit, Gegensätze
auszugleichen: Zwei Köpfe, zwei Augenpaare, zwei Flügel - aber nur eine Brust, nur ein Herz.
Dort muss das Gegensätzliche - müssen die "zwei Seelen" -
aufgearbeitet, versöhnt, integriert werden. Franz
Karl Ginzkey, geboren als Kind deutschböhmischer Eltern in Pola 1871,
gestorben in Wien 1963, also erst vor rund 40 Jahren, war einer der letzten
Vertreter alt-österreichischer Geistigkeit. Als Berufsoffizier, Militärgeograph und Schriftsteller hinterließ er
neben einem umfangreichen lyrischen Werk (darunter der Text der niederösterreichischen
Landeshymne!), zahlreichen Romanen und Kinderbüchern auch die skurrile Erzählung
"Der Wundervogel" (1929). "Wir
nennen ihn ein wenig undeutsch Palitschari, obwohl er für seinen Teil durchaus
rein deutscher Abkunft war; aber als Vertreter von gut zwölf einst unter ihm
vereinten Nationen hätte er unmöglich Siegfried oder Widukind oder Fürchtegott
heißen können. Gerade Palitschari scheint uns nach manchem, was da im Blute
verschieden und doch zum guten Zwecke vormals beisammen war, den rechten Kern in
sich zu tragen, wozu noch ein leiser tschinellenhafter Ausklang wie von einer
fernhin verdämmernden Regimentsmusik hinzukommt." >
Franz Karl Ginzkey, Der Wundervogel, L. Staackmann-Verlag, Leipzig, 1929,
7.
Auf
einer Felsspitze trifft Palitschari den Steinadler Gursu, mit dem er sich
anfreundet und über Gott und die Welt zu philosophieren beginnt. Auf Gursus
Frage, woher denn seine Doppelköpfigkeit stamme, führt Palitschari aus, dass
es einfach ein betrunkener Münzmeister gewesen sei, der ihn vor sechshundert
Jahren doppelt vor sich gesehen habe und, von der Symmetrie des solcherart
entstandenen Bildes begeistert, dieses seinem Auftraggeber vorgeschlagen habe.
Dem Münzherren habe der Entwurf ebenfalls über die Maßen gefallen, da ja
dadurch auch seine Macht verdoppelt erschien. So sei er als Doppeladler auf die
Reichsmünze gekommen. Zu
den beiden Seelen, die unter den beiden Adlerköpfen wohnen, meint der Erzähler
nachdenklich: "(er
war) nämlich noch immer mit menschlicher Logik begabt, die das eine Mal Blut
nicht sehen kann und das andere Mal es wieder in Strömen vergießt, sodass sie
zwischen Tierschutzverein und Schlachtbank, zwischen Friedensliga und Kriegserklärung
hilflos hin und her schwankt ..." (23) Und
Gursu sekundiert mit gut altösterreichischer Weisheit: "...
alle Kunst ist, sich selbst zu besitzen und zugleich auch wieder aufzugeben. Da
wahre Lebensgefühl liegt in der Mitte ..." (24) Nun,
es kommt immer auch auf die Darstellung an: je ausladender die Schwingen des
Doppeladlers gestaltet sind - man denke etwa an die Darstellungen an beiden
Firsten der Neuen Hofburg, über dem Eingang in den Volksgarten an der
Albertina-Seite und die vielen anderen architektonischen und künstlerischen
Umsetzungen - umso stärker wirkt neben dem Schützenden auch das Verbindende. Auch
wenn der Doppeladler in monumentaler Gestalt vom heutigen Regierungsgebäude am
Beginn der Wiener Ringstraße heruntergrüßt, zu seinen Füßen sein kleiner
Bruder den Spruch "In deinem Lager ist Österreich" am
Radetzky-Denkmal bewacht und - wie eingangs erwähnt - Tausende seiner
Verwandten landauf, landab vom alten Österreich künden, wird eine rationale
Betrachtung das scharfäugige Wappentier wohl nur als EIN Symbol von VIELEN
aufzählen, unter denen Österreich gestanden ist. In humorvoller Betrachtung wird er vielleicht Aussprüche provozieren wie "Ich
habe oben im Demel eine Doppeladler-Zucht" (Udo Proksch). "Geschichtspsychologisch" betrachtet, wirken die mächtigen
Schwingen des Doppeladlers in Tiefenschichten des österreichischen Volkes auch
heute noch nach: als Symbol dafür, dass der Österreicher einst in einem mächtigen Reiche
lebte, auf das er stolz war und in dem er sich geborgen fühlte. Leider hat die Erste Republik eine unglückliche Wendung genommen, fernab von der WeisheitPalitscharis: nach Ausschaltung der demokratischen Parteien und des Parlaments suchte der Ständestaat 1934 sein Heil in einem Rückgriff auf das österreichische Traditionssymbol: er flüchtete sich unter den Doppeladler. Wie sich herausstellte, war das keine gute Idee - den Teufel Nationalsozialismus mit dem Beelzebub Austrofaschismus auszutreiben, erwies sich als Sackgasse. An einigen Punkten überlebte der Doppelaar freilich bis heute: wie zum Hohn auch an den Portalen des Justizpalastes, in der Otto-Bauer-Gasse (!) und in Bregenz mit Blick über den See nach Deutschland und in die Schweiz.
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